Das Lied vom Abschied

Schon das sechste Jahr habe ich das Lied " Kinder werden groß" wunderschön gesungen von unseren Erzieherinnen aus dem Waldkindergarten gehört. Es ist ein Geschenk für die Kinder, aber besonders für die Eltern, die ihr Kind in die Schule loslassen müssen/dürfen. Und bereits zum zweiten Mal war eines meiner Kinder mit dabei, dass verabschiedet wurde.

Dieses Lied und auch die jährlichen Abschiede rühren mich immer zu Tränen und lösen einen Stich im Herzen aus: Wieder ein Abschied, wieder ein Neubeginn, wieder geht eine wunderschöne Kindergartenzeit zu Ende und kommt eine aufregende, hoffentlich genauso tolle Schulzeit.

Ich möchte gerne, dass meine drei Mädels selbstständige und selbstbewusste Menschen werden. Dazu gehört das Loslassen. Ihnen Flügel zum Fliegen geben. Ihnen den ersten Sprung aus dem Nest zumuten.

Dabei muss ich an unsere Kohlmeiseneltern von diesem Jahr denken. Sie haben die Kleinen gut zwei Wochen unermüdlich gefüttert. Dann eines morgens wurden sie flügge. Und das Fliegen ging überhaupt nicht gut. Mit einem Plumps saß das Kleine im Gras. Anfangs konnte es kaum vom Boden auffliegen. Es war schneller unter einen Busch gehüpft als geflogen. Was für ein Wagnis! Doch die Eltern haben sie nicht zurück gehalten. Sie haben sie beim Großwerden unterstützt. Den ganzen Tag haben sie sich um ihre vier flüggen Kinder gekümmert: Sobald wir oder eine Nachbarskatze kamen, wurde geschimpft und von den Kleinen durch gestikulieren abgelenkt, und zwischendurch haben sie ihnen Futter gebracht. Die Meisenkinder haben fleißig das Fliegen geübt. Und tatsächlich am Abend konnten sie fliegen. Die nächsten Tage wurden sie zwar noch ab und zu mit Futter versorgt, aber sie wurden zusehends selbstständiger. Jetzt fliegen sie in den Gärten herum und es ist schön, dass sie immer noch bei uns in den Bäumen sitzen. Junge Meisen, die sich selbst versorgen können.

Ich habe die Eltern bewundert, mit welcher Selbstaufgabe sie die ersten Wochen die Kinder versorgt haben und mit welchem Vertrauen sie ihre Kinder in die Welt ziehen lassen konnten. Mit anfänglicher Hilfe und Unterstützung, doch mit dem Ziel der Selbstständigkeit.

Ich möchte auch so eine mutige Vogelmama sein. Ich möchte meine Kinder fliegen lassen, sie unterstützen aber nicht tragen, ihnen beistehen aber nichts abnehmen, ihnen zuhören aber nicht meine Meinung aufdrücken, sie frei sein lassen, sodass sie aber auch gesellschaftsfähig sind. Mein Ziel soll die Selbstständigkeit meiner selbstbewussten Kinder sein.

Dabei heißt für mich Selbstbewusstsein nicht, ich setze mich überall durch. Sondern eher: ich weiß, was ich wert bin und ich muss keine Angst vor Kindern/ Menschen haben, die mich anders haben wollen. Weil ich so, wie ich bin, gut, geliebt und gewollt bin. Von Gott, meiner Familie und auch von mir, dem Kind, selbst.

Trotzdem ist das Losfassen nicht meine Stärke. Ein bisschen geht es mir da wie Hermann Hesse in seinem „Stufengedicht“


„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und hilft, zu leben.“

Ohne ein bisschen Trauer geht es nicht, aber ich übe mich in Tapferkeit!

Auch Gott spricht in Offenbarung 22,13:

„Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.“

Unser Leben besteht aus vielen kleinen Anfängen und Enden. Und in jedem Anfang und in jedem Ende ist Gott mit uns. Er begleitet uns, unsere Kinder, Freunde, unsere Liebsten. Wir gehen diese Wege also nicht alleine. Beziehungsweise wartet in jedem Neuen Jesus auf uns mit ausgestreckten Armen.

Solche Bilder liebe ich. Dann tut mir mein Herz schon weniger weh. Dann kann ich mein sechsjähriges Kindlein doch mit dem Schulbus fahren lassen. Dann kann ich mein dreijähriges Kind beruhigt in den Kindergarten entlassen und weiß auch, dass meine Große in der dritten Klasse die längere Schulzeit gut bewältigen wird. Denn Jesus ist da, wenn sie ihre Wege gehen und ich nicht dabei sein kann.

„Kinder werden groß, man hat sie lieb und lässt sie los“


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