Mit rot verweinten Augen sieht sie mich an. Schon bevor sie spricht, spüre ich den Schmerz, die Verzweiflung, die Frage nach dem Warum. Dann bricht es aus ihr heraus: Warum nimmt Gott Menschen das wichtigste auf der Welt? Warum lässt er zu, dass Hoffnung gemacht wird, dass Ruhe einkehrt und nimmt dann doch das geliebt Kind über Nacht den Eltern? Warum?
Wie gelähmt sitze ich da.
Am liebsten würde ich sie jetzt in den Arm nehmen.
Einfach nur in den Arm nehmen und nichts sagen.
Doch ich kann sie nicht in den Arm nehmen. Uns trennt die Distanz. Denn wir sehen uns nur über den Monitor unserer Laptops.
Worte sind fehl am Platz.
So schweigen wir uns an. Meine Gedanken beginnen zu wandern… Warum?
Ja, diese Fragen kenne ich. Schon oft habe ich sie mir gestellt und oft versucht Gott in Frage zu stellen.
Doch jedes mal habe ich dann die Erfahrung gemacht, dass mich die Ohnmacht, die Wut und die Verzweiflung weiter nach unten ziehen. Die Frage nach dem Warum ist nicht immer zielführend. Sie kann den Schmerz noch größer machen.
Eine gute Freundin hat mir einmal etwas schönes über Gott gesagt. Sie kennt sich sehr gut mit Gott aus. Damals war ich die, die verheult da saß und fragte, was daran gerecht und gut an Gott ist, wenn er zulässt, dass eine junge Mutter von fünf kleinen Kindern sterben muss.
Sie meinte, Doro, sei dir sicher, Gott ist auch sehr sehr traurig darüber, wenn Menschen zu früh gehen müssen. Gott möchte uns Leben schenken, er möchte, dass wir die Welt genießen können, dass wir uns freuen und glücklich sind.
Jetzt in der (Vor-)Osterzeit gedenken viele Christen an die Passion Christi. Seinen Leidensweg bis hin zum Tod und der Auferstehung.
Es ist doch erstaunlich, dass Gott seinen geliebten, einzigen Sohn durch diese Marter gehen lässt. Dass er Schmerz, Pein und Qual zu lässt und nicht eingreift. Jesus war der Abschaum. Sinnbild für den äußersten Rand der Gesellschaft. Tiefer ging nicht mehr. Gekreuzigt zu werden war damals das Todesurteil für die niedrigsten Menschen. Und Gott greift nicht ein. Unfassbar.
Doch was wäre wenn Gott eingegriffen hätte?
Ein wesentlicher Teil unseres Glaubens würde wegfallen.
Jesus wäre nicht für unsere Sünden gestorben. Wir hätten nicht den heiligen Geist bekommen und könnten nicht direkt mit Gott in Kontakt treten. Unsere Religion wäre eine 0815 Religion. Denn sie unterscheidet sich ja doch durch den Tod Jesu – den Tod von Gott am Kreuz - von all den anderen Religionen.
Unser Glaube basiert also auf den Tod Gottes, auf Leid und Qual und auf die Frage: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Die letzten Worte Jesu in Matthäus 27,46)
Was so unfassbar, so ungerecht und grausam erscheint, folgte einem höheren Plan.
Gott hat eine weitere Sicht auf die Dinge und die Welt als wir. Und unser Gott kennt den Schmerz, weil er ihn selbst durchlitten hat. Darum vertraue ich darauf, dass ich im Leben „nur“ so viel Leid und Last aushalten muss, wie ich tragen kann.
(Und alle die unseren Lebensweg bis hier hin kennen, wissen, dass der nicht immer rosa rot und mit Glitzer war.)
Ob man das auch so sieht, wenn man gerade mitten in einer Sinnkrise steckt und nach dem Warum fragt, wage ich zu bezweifeln.
Meine Bekannte wird noch Zeit brauchen, um ihre Wut und Enttäuschung zu verarbeiten. So lange bete ich für sie und hoffe, dass sie sich dann, wenn der Schmerz nachlässt, wieder unserem liebenden Vater im Himmel zu wenden kann.
Es gibt Dinge, die können wir nicht beantworten.
Wir dürfen und sollten aber an das gute Ende unserer Geschichte glauben, die Auferstehung!
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